Michael Stoffels: Begrüßung und Eröffnungsrede
Für den Arbeitskreis Asyl und Menschenrechte darf ich Sie alle hier herzlich begrüßen: Wir sind dankbar, dass Sie unserem Aufruf zu einer Mahnwache gefolgt sind….
Moria ist abgebrannt. Wir haben die Bilder immer wieder gesehen in der vergangenen Woche. Die lodernden Flammen und Tausende von obdachlosen Flüchtlingen, die hilflos durch die Gegend irren, die kaum versorgt werden mit Nahrung und Wasser, die am Straßenrand schlafen oder im Wald, tagsüber schutzlos der Hitze ausgesetzt.
Wir haben ebenso oft gehört: Der Brand sei eine angesagte Katastrophe, also zu erwarten gewesen. In dem Lager, ausgelegt für 2.800 Personen, drängten sich zuletzt 12.500 Personen zusammengepfercht in ihren armseligen behelfsmäßigen Unterkünften.. „Das ist kein Flüchtlingscamp“, konstatierte Entwicklungshilfeminister Gerd Müller ebenso nüchtern wie empört. Doch alle immer dringender werdenden Warnungen der Hilfsorganisationen verhallten ungehört.
Kürzlich war noch Ministerpräsident Armin Laschet vor Ort. Die verzweifelten Menschen drangen so auf ihn ein, dass er den Besuch aus Sicherheitsgründen abbrechen musste. Das Verhalten der Flüchtlinge, so kommentierte er im Nachhinein vor der Presse, sei ein „Aufschrei der Verzweiflung“ gewesen, forderte dann aber eine europäische Lösung für die unhaltbaren Zustände.
Die Forderung ist wohl richtig. Notwendig wäre ein konzertierter europäischer Rettungsplan, die sofortige Evakuierung der Flüchtlinge und deren Aufnahme in Deutschland und den anderen europäischen Staaten. Aber wusste Armin Laschet nicht, dass es eine solche europäische Lösung in absehbarer Zeit nicht geben wird, wie selbst Angela Merkel vor wenigen Tagen zugegeben hat?
Sind aber die Flüchtlinge in Moria – lassen Sie mich auch das fragen – denn nicht selbst schuld an der verheerenden Katastrophe, die sie so hart getroffen hat? Es gibt Indizien, die darauf hindeuten, dass es Bewohner des Lagers waren, die das Feuer gelegt haben, Weil Menschenleben dadurch gefährdet worden sind, wäre das trotz aller Verzweiflung zu verurteilen. Mit Sicherheit aber nicht in der Weise, wie das einige Politiker*innen getan haben, die mit populistischen Konsequenzen ganz schnell bei der Hand waren so wie z.B. Hessens Europaministerin in der BILD-Zeitung: Gewalt dürfe, so die Ministerin barsch, nicht durch Verlegung in andere europäische Staaten belohnt werden.
Gewalt, Frau Ministerin? Wer übt denn hier Gewalt aus? Lebten die im Dreck lebenden Flüchtlinge denn nicht in einem lang andauernden Gewaltzustand? Ein Gewaltzustand, in dem ihre Menschenwürde mit Füßen getreten worden war und Menschenrechte systematisch verletzt wurden? Man mag das Feuerlegen kritisieren. Aber die völlige Blindheit gegenüber der Gewalt, die den Menschen in Moria angetan wurde, erschreckt. Für diese Gewalt ist die Europäische Union einschließlich Deutschland verantwortlich. Die Flüchtlinge in dem EU-Hotspot Moria sind nämlich nicht die Flüchtlinge Griechenlands. Das sind Europas Flüchtlinge.
„All das, was ich als Sonderberichterstatter der UN in Slums auf der ganzen Welt gesehen habe“, meint Jean Ziegler, „ist nichts gegen das, was ich auf Moria erlebt habe.“ Wer mag denn da glauben, dass die verheerenden Zustände in Moria an der Außengrenze des wohlhabenden Europa ein Zufall sind? Nein, die Zustände wurden geduldet, wenn nicht bewusst herbeigeführt, um weitere Flüchtlinge davon abzuhalten, von der Türkei aus Richtung Europa zu gelangen.
Moria – das ist ein politisches und moralisches Desaster zugleich, eine Bankrotterklärung der europäischen Wertegemeinschaft. Die Reste der abgebrannten Unterkünfte sind ein Mahnmal gegen die Abschreckung von Flüchtlingen, ein Mahnmal gegen die brutale Abschottungspraxis, wie sie Europa schon seit Jahren betreibt.
Was sind jetzt die Konsequenzen? Die Zeit des Abwägens und des Schielens auf das Handeln der anderen europäischen Länder muss vorbei sein. Es kann in dieser humanitären Ausnahmesituation nur eine Konsequenz geben: die sofortige Evakuierung der Menschen. Dies hat für Deutschland die Aufnahme einiger tausend statt einiger hundert Menschen zur Folge. Dass jetzt gut 1500 Flüchtlinge aufgenommen werden sollen, geht in die richtige Richtung, ist aber noch unzureichend. Notwendig wäre, dass endlich der Bereitschaft vieler Kommunen und ganzer Bundesländer zur Aufnahme der Flüchtlinge entsprochen wird.
Der Stadt Kempen gebührt hier Lob und Anerkennung dafür, dass sie sich zum Sicheren Hafen erklärt hat und jugendliche Flüchtlinge aus Moria aufnehmen will. Wir hoffen, dass der neue Stadtrat mit dem bald zu wählenden neuen Bürgermeister seine Aufnahmebereitschaft bekräftigt, so wie es jetzt die Oberbürgermeister von zehn deutschen Großstädten gegenüber dem Bundesinneninnenminister mit allem Nachdruck auch getan haben.
Es muss gelten:
Aufnahme der Geflüchteten aus Moria jetzt sofort
Keine Lagerunterbringung mehr an den Außengrenzen der EU
Mit diesen Forderungen wollte ich eigentlich enden. Ein Anruf gestern lässt mich aber noch ein paar Sätze hinzufügen. Der Anruf kam von einem jungen Afghanen, der hier in einem Kempener Flüchtlingsheim untergebracht war, den ich bei seinem Asylverfahren bis ins Gericht hinein begleitet habe und mit dem ich immer noch in Verbindung stehe, auch wenn er nicht mehr in Kempen wohnt. Dieser june Mann berichtete mir von seinen Eltern. Ich erfuhr: Sie leben mit ihren 8 und 13 Jahre alten Kindern seit 9 Monaten auf Lesbos in Moria, in dem abgebrannten Lager und müssen jetzt ungeschützt auf der Straße schlafen.
Ich erwähne das, um deutlich zu machen, was das Spiel mit den Zahlen der Flüchtlinge, die kommen dürfen, konkret bedeutet, was es heißt, es dürfen 100 kommen oder 1500 oder 5000. Es kann bedeuten: Eltern und Geschwister könnten zu ihrem Sohn und Bruder dürfen kommen oder aber es bedeutet: sie müssen weiter in ihrer trostlosen und hoffnungslosen Situation ausharren. Nächste Woche kommt der junge Mann bei mir vorbei und will Hilfe und fragen, was er tun kann. Diese Frage gebe ich hier an Sie weiter.